Leitlinien / Leitgedanken
Wer setzt die Leitlinien eines Wohnprojektes?
- Die Initiator:innen / Gründer:innen eines Wohnprojektes setzen die Leitlinien.
- Die Initiator:innen messen sich an ihren Leitlinien und modifizieren diese, wenn sie als nötig ansehen.
- Die Initiator:innen erwarten, dass neue Mitglieder für sich selbst entscheiden, ob die gesetzten Leitlinien für sie passen. Wenn neue Mitglieder diese Leitlinien als für sie selbst nicht passend ansehen, müssen diese Interessent:innen sich ein anderes Wohnprojekt suchen.
- Die Gründer:innen möchten die Interessent:innen danach fragen, ob sie mit den Leitgedanken einverstanden sind. Hier ist eine ehrliche Antwort hilfreich.
- Die Gründer:innen möchten keine Mitglieder, denen die Leitgedanken gleichgültig sind und stattdessen ihren Fokus auf ihre Wohnung legen und einfach nur wohnen wollen.
Diese Erkenntnis ist selbsterklärend, hört sich jedoch ungehobelt an. Gehobelt wird später, wenn das sägerauhe Brett zum Handschmeichler werden soll.
Hier kommt das erste Problem in das Spiel: Wer darf diese Leitlinien modifizieren und auf welche Weise kann dies geschehen?
In einem konsensorientierten Projekt, welches sich also entschieden hat, den Konsens zu leben, ist diese Frage elegant zu beantworten: Alle Mitglieder dürfen die Leitlinien modifizieren. Dies kann jedoch nur im Konsens geschehen, aber es kann geschehen. Dies kann auch in einer größeren Gruppe geschehen, wenn die Gruppe sich im Konsensverfahren geübt hat. Das systemische Konsensieren kann eine Hilfe sein.
In einem nicht konsensorientierten Projekt ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Darf es eine Teilmenge, dürfen dies die Gründer:innen? Diese Frage müssen Menschen beantworten, die nicht konsensorientiert arbeiten.
Wie erkennt man, dass nur wenige Mitglieder die Leitlinien wichtig finden:
- Man erkennt dies an der fehlenden Diskussion über die Leitlinien.
als Beispiel diese Leitlinie der Initiatoren des Projektes staTThus:
alle Mitglieder sind gleichberechtigt, wir vermeiden hierarchische Strukturen.
- Interpretation A, die Initiatoren haben sich gedacht:
Das Plenum ist die einzige Instanz, die Entscheidungen fällt. Anliegen (Beschlussvorlagen) werden im Plenum formuliert. Dies ist eine Basisdemokratie.
Die laut Gesetz notwendigen Organe, wie Vorstände - Aufsichtsrat, führen die Entscheidungen aus und melden in das Plenum zurück, wenn das Anliegen aufgrund einer Kollision mit gesetzlichen Regelungen nicht umsetzbar sind. Die Posten als Vorstände und Aufsichtsrat.. rotieren, damit alle Mitglieder diese Funktion kennenlernen und nicht zu lange belastet sind (und nicht am Posten kleben). Diese Interpretation hat eine Weile gehalten, ab und an musste dies von den Initiatoren verteidigt werden. Etwa ein Jahr nach bezug des Projektes war diese Interpretation als "gültig" angesehen. Es wurde nicht abgestimmt, im Plenum, was ab und an zu Erregungen führte, aber es wurde schlussendlich so verfahren. In Protokollen zu der Berufung neuer Aufsichtsräte beispielsweise mussten Abstimmungen festgehalten werden, um prüfbare Unterlagen vorweisen zu können.
Diese Leitlinien waren allen Mitgliedern zu dem Zeitpunkt bekannt, als sich diese für das Projekt entschieden haben. In den Aufnahmegesprächen war jeweils viel Platz dafür, die Leitlinien zu hinterfragen. - Interpretation B, eine Teilmenge der Mitglieder (Vorstände und Aufsichtsräte der eG) denkt sich plötzlich:
Beschlussvorlagen werden in Zukunft vom Vorstand erarbeitet und teilt dies über ein Protokoll der Sitzung mit. Eine Diskussion zur "neuen Interpretation" findet nicht statt und vor allem anderen: sie fand auch zuvor nicht statt.
In der Folge werden die Schlösser des gemeinschaftlichen Büros ausgetauscht (Beschluss Vorstand), ein Mitglied des Vorstands zur Aufgabe des Mandats aufgefordert (weil sich das Mitglied nicht an die neue eingeführte Verschwiegenheit in den Sitzungen des Vorstands und Aufsichtsrat halten will)...
da es Vorstände und Aufsichtsräte gibt und diese Posten laut Gesetz (Satzung) bestimmte Entscheidungen beinhalten, können diese Möglichkeiten auch genutzt werden.
Der Vorstand und der Aufsichtsrat beschließen: Beschlussvorlagen werden in Zukunft vom Vorstand erarbeitet. Dieser Beschluss wird nicht im Plenum und nicht im Konsens festgelegt, weil man es kann. Die Leitlinien seien gesetzt gewesen, man entscheide nun anders. Wer bei der Interpretation A bleibt, wird nicht gehört. Dies entspricht einer Übernahme eines basisdemokratischen Projektes (durch eine Teilmenge, die zufällig gerade Vorstand oder Aufsichtsrat ist) hin zu einer hierarchischen Struktur. Den Vorständen und Aufsichtsräten wurden das das Vertrauen ausgesprochen, dass sie sich an die vereinbarten Grundsätze halten: Verwalten ja, entscheiden nein.
Eine Leitliniendiskussion hätte diese Interpretationen deutlich machen können. Wenn man die Basisdemokratie für eine Illusion hält, vielleicht auch inzwischen aus persönlichen Erfahrungen im Projekt, dann kann diese Meinung offen im Plenum diskutiert werden. Dies ist die Chance, ein rohes Brett zu einem Handschmeichler zu formen.
-Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass inzwischen nur noch eine kleine Teilmenge der Mitglieder weiter an die Basisdemokratie glaubt, alle anderen nicht (mehr)?
-Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass einige Mitglieder erst durch die Diskussion der Leitlinien die Leitlinien verinnerlichen und daran festhalten oder die Leitlinien anpassen möchten?
-Darf eine kleine Teilmenge eine Entscheidung (weg von Basisdemokratie und hin zu einer beliebigen Wohnungsbaugenossenschaft) blockieren, mit dem Hebel der Entscheidung im Konsens?
-Darf eine kleine Teilmenge, die weiterhin die Basisdemokratie verteidigt, alle weiteren Mitglieder darin hindern, die Basisdemokratie zu verlassen? Dürfen sie dies, wenn Initiatoren darunter sind? Dürfen sie dies, wenn keine Initiatoren darunter sind?
-Darf die große Teilmenge die kleine Teilmenge überstimmen, obgleich nicht abgestimmt wird (wegen der Leitlinien)?
-Sollten diese Fragen dadurch entschieden werden, dass die kleine Teilmenge nicht mehr gehört wird und vollendete Tatsachen geschaffen werden, ist dies dann eine feindliche Übernahme?
Aus der Erfahrung einer solchen Übernahme könnte man eine Idee entwickeln: Wenn die Diskussion über die Leitlinien und deren Ausgestaltung fehlt, kann man auch selbst eine Diskussion anzetteln, damit darüber gesprochen wird, wie die Leitlinien interpretiert werden. Vielleicht ist der Schutz vor einer Übernahme dann besser, als wenn man sich einfach darauf verlässt, dass die relative Ruhe im Projekt ein gutes Zeichen sei? Vielleicht gibt es auch keinen Schutz gegen eine solche Übernahme, wenn zu viele Mitglieder aus ihrer Sozialisation heraus das Leben mit Mehrheitsentscheidungen und vertikaler Hierarchie als angenehmer empfinden. Hier kommt nochmals ein Statement aus dem Beginn dieses Arikels:
- Die Gründer:innen möchten die Interessent:innen danach fragen, ob sie mit den Leitgedanken einverstanden sind. Hier ist eine ehrliche Antwort hilfreich.