Entscheidungsfindung staTThus
Im staTThus hatten wir uns von Beginn an klar für das Konsensverfahren entschieden. Es sollte keinen Unterschied machen, wer man ist und wie man ist. Das Konsensverfahren kann anstrengend sein. Die Voraussetzungen sind hier, dass man eigene Wünsche auch mal zurücksteckt, wenn sie sich im Kontext als nicht so wichtig einordnen lassen. Das Stichwort dazu lautet: Größer Denken. Unter "Häufige Fragen" stand auf der Seite des "Wohnprojekt staTThus": Charakteristisch für Wohnprojekte sind Selbstverwaltung und basisdemokratische Arbeitsweisen.
Solange es ein einigendes Ziel gibt, die Realisierung des Wohnprojektes sei hier genannt, ist es eher leichter, größer zu denken. Wir hatten das "Verfahren" gewählt, so lange zu reden, bis Niemand mehr etwas sagt. Dabei gewinnen im Zweifel die Menschen, die eher lauter sind oder deren Wissen als so wichtig angesehen wird, dass man ihnen glaubt. Es soll ja ein gemeinsames Ziel erreicht werden. Leisere Stimmen gehen dabei eher mal unter, was genau der Nachteil dieses "Verfahrens" ist. Solange es voran geht, gibt es nach dieser Erfahrung dabei eher kein Problem.
Wir haben vor dem Einzug in das Wohnprojekt den Konsens genau ein Mal verlassen: Es ging im Jahre 2015 um die Auswahl eines Lageplans für unser Grundstück. Wir hatten eine Frist bekommen, von der Stadt Husum, und haben eine Abstimmung herbeigeführt. Wir kannten das Verfahren des systemischen Konsensierens noch nicht. Nach der Abstimmung haben zwei Mitglieder, damals Unterlegene, das Projekt verlassen.
Es gab immer wieder "Rückfälle" in das Verhalten, doch mal schnell abzustimmen. Die Struktur einer Genossenschaft, mit Generalversammlung und weiteren Organen, bei denen das Gesetz sagt, es müsse ein Protokoll angefertigt werden mit dem Abstimmungsergebnis, verführt sehr dazu, diese Struktur als Leitfaden zu übernehmen. Viele Menschen kennen dies auch nicht anders, weil sie als Berufspolitiker, Gewerkschafter usw. dauernd daran gewöhnt waren, im Zweifel eine Abstimmung herbeizuführen. Es ist nicht leicht, als Hüter des Konsens aufzutreten, weil die Abstimmungsbefürworter*innen dann vor Augen geführt bekommen, dass sie im Begriff sind, den Weg des Konsenses zu verlassen. Besonders deutlich wurde dies im staTThus, weil wir eine Übereinkunft darüber hatten, dass die notwendigen Strukturen nichts entscheiden dürfen, sondern nur das Plenum. Der Beschluss lautete: Alle Bewohner*innen sind gleichberechtigt. Das Beschlussorgan ist das Plenum. Die notwendigen Strukturen (Vorstand der eG, Aufsichtsrat der eG, WEG-Verwalter*innen, GbR-Geschäftsführung) dürfen ausdrücklich nichts beschließen (nur für das Protokoll, also die gesetzlich notwendigen Handlungen). Der Vorstand wird mit fünf Mitgliedern besetzt und die Mitglieder rotieren, also sollten 2 oder drei Mitglieder im Vorstand verbleiben und 2 bis 3 Mitglieder rücken alle zwei Jahre nach, nachdem 2 oder 3 Mitglieder den Posten wieder verlassen haben. Der Vorstand hat genau eine Aufgabe: Die Verwaltung der Genossenschaft und der WEG. Dies ist ein Grundpfeiler des Projektes staTThus und nie wurde dies offen in Zweifel gezogen.
Rückfall in die Abstimmung-Welt: Zwei Beispiele
- Im Falle der Besetzung des Vorstands sieht das Gesetz eine klare Regelung vor: Der Aufsichtsrat wird von der Generalversammlung gewählt. Nach dieser Wahl bestimmt der Aufsichtsrat den Vorstand. Dies muss so auch peinlich genau in den Unterlagen festgehalten werden. Wir haben es in der Realität anders gemacht, also die Vorstände im Plenum per Konsens ermittelt und danach in den Unterlagen so abgebildet, wie es das Gesetz erfordert. Bei jeder Änderung kam es zu dem zuvor genannten Effekt: Wenn wir das in den Unterlagen so abbilden müssen, können wir das auch gleich so machen, wie es das Gesetz vorsähe? Eine geheime Abstimmung über die Vorstände sei doch sogar noch besser? Wieder eine Idee, auf die Menschen kommen, die es aus dem Berufsleben oder der zuvor gelebten Struktur nicht anders kennen. Wenn man dann aufsteht und klar sagt: "hier wird nicht abgestimmt", kann es sein, dass man als Machthaber innerhalb des Wohnprojektes wahrgenommen wird. Es ist allerdings so, dass die Initiatoren ihre Leitlinien, zu deren Kurs alle neuen Mitglieder eingestiegen sind, so lange verteidigen, bis eine im Konsens oder/und einer Mediation gefundene neue Leitlinie als für alle geltend erarbeitet wurde. Alle Mitglieder müssen damit rechnen, dass "dienstältere" Mitglieder die vorgegebenen Leitlinien einfordern. Sie müssen dies tun, auch wenn es für später eingestiegene Mitglieder vielleicht als schmerzlich empfunden wird. Leitlinien werden nur im Konsens geändert, dies war jedenfalls der Plan.
- Ein Mitglied macht den Vorschlag, ab und zu eine oder zwei reisende Frauen mit Fahrrad und Zelt aufzunehmen (Dachgeber). Es gibt im Gebäude ein Duschbad im Keller und das Grundstück ist größer als einen Hektar. Die Struktur ist ist vorhanden, jede einzelne Anmeldung würde zuvor vom Plenum bestätigt werden. Dies war das Anliegen. Gleich der erste Redebeitrag dazu lautete: "Das ist mit mir nicht zu machen." Nach einer ganzen Reihe von Übungen im Konsens ist dies nicht schön. Die Gruppe sorgt nicht für eine Aufarbeitung dieses Verhaltens, sondern mogelt sich um dieses Verhalten herum. Es könnte ja Stress geben, weil es in ähnlichen Situationen schon reichlich Stress mit dem Mitglied gab. Die Gruppe ignoriert den Rückfall in die Welt der üblichen Vorstände, die dort Mitgliedern ihre Entscheidungen mitteilen. Also bleibt es bei der ständigen Gefahr, dass Jemand einfach das Projekt auf den Kopf stellt.
Der Rückfall in die Abstimmungs-Welt stellt eine dauernde Gefahr dar, die ernst genommen werden muss. Es zeigt sich auch dabei, wer im Inneren schon lange einen anderen Plan hatte, diesen jedoch nicht äußert. Warum dieser Plan nicht geäußert wird, ist der Punkt. Hier muss realistisch geforscht werden, weil es gut wäre, wenn jeder Plan geäußert werden könnte, bitte. Wenn dies nicht geht, dann ist die Frage entscheidend: Warum kann nicht jeder Plan präsentiert werden, auch wenn er noch so weit von den Leitgedanken entfernt ist? Es bringt nichts, wenn man diese Pläne als abwegig einstuft. Die Realität ist entscheidend.
Wie kann man den Konsens üben?
Wir haben uns im staTThus dazu sehr sehr viele Gedanken gemacht und Vorschläge verwirklicht. Es gab Besuche bei anderen Projekten, die den Konsens leben. Es gab interne Fortbildungen, es gab externe Fortbildungen, an denen alle Mitglieder teilnehmen sollten. Es gab lange vor dem Einzug schon Übungen in gewaltfreier Kommunikation. Es gab Gemeinschaftsbildung mit Spaß und mit Arbeit. Es gab später drei extern begleitete Workshops zum Thema Konsens und gewaltfreier Kommunikation. Es gab Reaktionen auf Thesen wie "wir sind meilenweit vom Konsens entfernt": Wir haben das systemische Konsensieren geübt, in Theorie und Praxis.
Es geht bei den Treffen im Plenum auch darum, das Plenum nicht mit Anliegen zu "verstopfen", die in Arbeitsgruppen zuvor behandelt und komprimiert werden können. Wenn das Plenum sehr häufig mit solchen Anliegen belastet wird, mehren sich die Stimmen, die einen Konsens als Illusion ansehen.
Wie ging es weiter?
Am 12.5.2020 wurde in einem Treffen, außerhalb des Plenums, sinngemäß folgendes festgestellt: die Geschäfte führt der Vorstand und dessen Beschlussvorlagen kommen ins Plenum zur Entscheidung. Dies werde auch nach den Einschränkungen durch Corona so weiter gehen. Beschlossen würde vom Vorstand nichts, so diese Feststellung, obgleich ja hier schon ein Beschluss enthalten ist: der Vorstand liefert die Beschlussvorlagen. Dies hört sich erst mal an, als sei es für das Wohnprojekt der normale Ablauf.
Damit wurde ein Grundpfeiler des Wohnprojektes entfernt: Zuvor wurden Anliegen im Plenum formuliert und ein Beschluss entwickelt. Nur im Plenum fand dieser gemeinsame Prozess statt. Wer nahm sich hier das Recht heraus, diese Grundpfeiler entfernen zu dürfen? Diese Gruppe war nun das "wir", die "ihr" sollten Geschichte werden. Hier wurde die Spaltung nach meiner Meinung vollzogen und so etwas wie eine feindliche Übernahme fand statt. Die "ihr" hatten eine Erarbeitung eines gewandelten Konzeptes, genau formuliert, vorgeschlagen. In einer Mediation sollte dies geschehen. Es kam nicht dazu. Eine Mehrheit marginalisiert eine Minderheit, verhindert eine Aufarbeitung. Genau dies hätte der Minimalkonsens sein sollen: Erforderlich ist der Wille zum Kompromiss.